Selbst in Eichstätt war man auf ihn böse

Nur wenige Tage nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges entstand im ganzen Land eine Hysterie wegen vermeintlicher Spione und Landesverräter, von der auch die Nachkommen der Familie Leuchtenberg trotz ihrer Verwandtschaft mit dem bayerischen Königshaus nicht verschont blieben.

Maximilian, der zweite Sohn des Eugen Beauharnais, Herzog von Leuchtenberg und Fürst von Eichstätt, hatte 1839 die russische Zarentochter Großfürstin Maria Nikolajewna geheiratet. Auf Verlangen des Zaren blieb er in Rußland.

Einer der Nachkommen, Georg von Leuchtenberg, Sohn des vierten Herzogs Nikolaus von Leuchtenberg, der sich bereits nicht mehr Fürst von Eichstätt nennen durfte, da mit dem Verkauf Eichstätts an Bayern 1854/55 dieser Titel erloschen war, lebte zu dieser Zeit mit seiner Familie in Seeon im Chiemgau.

Die Witwe des Kaisers Pedro I. von Brasilien, eine Tochter des damaligen Eichstätter Landesherrn Eugen, hatte, nachdem sie nach Europa zurückgekehrt war, im Jahre 1845 das Schloss Stein und 1852 das säkularisierte Kloster Seeon erworben.

Als der vierte Herzog von Leuchtenberg, der sich „Kaiserliche Hoheit Nikolaus Fürst Romanowsky“ nennen durfte, wegen der Liebschaft mit einer noch nicht geschiedenen Frau außer Landes ging, wohnte er zuletzt in Stein.

Dort waren seine beiden Söhne, Nikolaus und dessen Bruder Georg, aufgewachsen. Nach dem Tod der Eltern im Jahre 1890 verkauften die Brüder Schloss Stein und zogen nach Russland um ihren Militärdienst abzuleisten. Dort hat ihnen der Zar dann ebenfalls den russischen Titel Herzog von Leuchtenberg verliehen.

Zurück nach Bayern

Im Jahre 1895 heiratete Georg Herzog von Leuchtenberg in St. Petersburg seine Frau, die dem vornehmsten russischen Adel entstammte.

1905 quittierte er den Dienst am Zarenhof in St. Petersburg und in der russischen Armee und übersiedelte mit seiner Familie und dem Dienstpersonal auf seinen Besitz in Seeon. Anscheinend war Bayern, wo Georg seine Jugend verbracht hatte, ihm mehr Heimat geworden als Russland.

Hier lebten „die Russen im Chiemgau“, wie sie genannt wurden, im engen Kontakt mit der Bevölkerung, mit denen sie Feste und Feierlichkeiten gemeinsam begingen. Für die Region stellte die Familie - nebenbei bemerkt - in der damaligen Zeit einen nicht zu unterschätzenden Wirtschaftsfaktor dar.

 

Ansichtskarte aus dem Jahre 1911 an Georg Herzog von Leuchtenberg,
in einer glücklichen Zeit und von einem nahenden Krieg nichts zu spüren

Als Feinde verdächtigt

Dieses sorglose Leben endete für die Familie jedoch abrupt mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der Kriegserklärung Deutschlands an Russland am 1. August 1914.

Auch die hochverehrten Gäste im Chiemgau wurden nun als vermeintliche Feinde argwöhnisch beobachtet. Trotz seiner bayerischen Vorfahren fürchtete Georg um die Sicherheit seiner Familie. Wohl wegen der stets wachsenden feindlichen Haltung aus Kreisen der Bevölkerung sah er sich veranlasst, aus Seeon abzureisen.

Ein Auto der Polizeidirektion München und etwa ein halbes Dutzend Gendarmen begleiteten den aus 36 Personen bestehenden und in acht Autos verteilten Tross, darunter die Kinder des Herzogs und seine Frau ins Allgäu, wo man über Lindau in die Schweiz ausreisen wollte.

Durch die inzwischen ergangenen Vorschriften und Erlasse gestaltete sich die Fahrt langwierig und schwierig, auch weil man z. B. die Gendarmen für verkleidete Spione hielt. Wegen technischer Defekte mussten zwei Autos zurückgelassen werden. 

In Kempten versammelte sich bei Ankunft des russischen Herzogs eine große Volksmenge, die - aufgehetzt durch entsprechende Berichte in den Zeitungen - zum Teil sogar bedrohende Haltung annahm.

An der Grenze wurden dann auch die beiden Privatautos der Familie - die anderen waren angemietet - von der Bayerischen Heeresverwaltung beschlagnahmt.

Aufruhr in Eichstätt

Wie aber war das Verhältnis der Eichstätter Bevölkerung zu den Nachkommen ihres einstigen Landesherrn Eugen Beauharnais, an den man sich noch immer erinnerte?

Herzog Georg hatte nach Verlassen Deutschlands offensichtlich Anfang Oktober 1914 der italienischen Zeitung La Stampa ein Interview zum Krieg gegeben, das dann am 10. Oktober 1914 auszugsweise im Eichstätter Kurier abgedruckt wurde.

Demnach soll sich der Herzog in etwa so geäußert haben:

„Mein hoher Verwandter, Wilhelm II., und sein Verbündeter, Franz
Joseph, spielen ein gewagtes Spiel, wenn sie noch an den
schließlichen Sieg glauben, aber neun Millionen russische Soldaten
in Kameradschaft mit den heldenmütigen Söhnen Belgiens, Englands
und Frankreichs werden Deutschland und Österreich in einen Ring
von Stahl schmieden, aus dem sie sich unmöglich befreien können,
zum Schlusse müssen sie nachgeben“.

 Das hörte man in Eichstätt natürlich gar nicht gerne, weshalb es hieß:

„ .....und diesem, jetzt so deutschfeindlichen Geschlecht der Herzöge
zu Leuchtenberg zu Ehren, befinden sich bekanntlich am Felsen
unserer Anlage die unschönen Erinnerungstafeln mit den devoten
Dankergüssen“.

Die dritte Tafel in der Anlage war für Maximilian von Leuchtenberg angebracht worden. Er war es, der die russische Zarentochter geheiratet hatte.

Zwei Tage später erschien dazu aber ein kurzer Kommentar, in dem zum Ausdruck gebracht wurde, dass die Worte des Herzogs für das Empfinden zwar empörend sein mögen, an den Tafeln, welche von Eichstätts Bürgern gestiftet worden waren, aber kein Anstoß genommen werden dürfe; denn diese Tafeln seien eine Zierde für die Anlage.

Schließlich wurde auch noch daran erinnert, dass die von den Herzögen von Leuchtenberg getragene Dom-Augusto-Stiftung der Stadt reichen Segen gebracht und unzähligen Armen Wohltaten erwiesen habe.

Als verarmte Adelsfamilie in Seeon

Seeon wurde gegen Ende des Krieges in Folge der russischen Revolution zum Zufluchtsort zahlreicher russischer Adeliger.

Mit dem Sturz der Zarenfamilie mussten auch die Leuchtenberger wieder aus Russland flüchten, wobei sie ihre dortigen Besitzungen und damit ihr Vermögen verloren. Sie kehrten nach Seeon zurück, wo Georg am 9. August 1929 starb. Seine Witwe Olga lebte dort bis zu ihrem Tod im Jahr 1953 und war am Ende auf Sozialhilfe und Zuwendungen der Seeoner Bürger angewiesen.


Rudolf Hager